"Siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter"
(Lk 1, 48). Dieser Satz ist die biblische Grundlegung der
Marienverehrung. Maria kündet es selbst an, daß alle künftigen
Generationen der Glaubenden sie seligpreisen werden für das Große, das
Gott an ihr getan hat.
"Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und
gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, daß die Mutter
meines Herrn zu mir kommt?"(Lk 1,42,43). Elisabeths Lobpreis ging
ein in das bekannteste Mariengebet, ins "Ave Maria", wo wir beten: "Du
bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines
Leibes, Jesus". Mit den Worten "die Mutter meines Herrn" wird klar die
Rolle Marias im Heilswerk benannt: Sie ist die Mutter des Herrn, die
Mutter Gottes.
Der Gottesmuttertitel ist das marianische Grunddogma.
Zu diesem Glaubensgeheimnis bekennen sich übrigens alle Konfessionen der
christlichen Ökumene, alle, die sich auf das Große Glaubensbekenntnis
der Kirche (das sog. Nizäno-Konstaninopolitanische Glaubensbekenntnis)
gründen. Wie alle Glaubenswahrheiten übersteigt auch dieses Geheimnis
unser menschliches Begreifen: Daß der große Gott, der Herr des Himmels
und der Erde, Kind wurde im Leib Mariens, ist ein rational
unauslotbares, nur im Glauben annehmbares Geschehen. Staunend, anbetend
haben wir zur Kenntnis zu nehmen, daß Gott eine dramatische >Karriere
nach unten< antrat, um die verlorene Menschheit von innen, von der
Wurzel her zu heilen. Zu dieser Selbstentäußerung Gottes gehört auch die
Tatsache, daß er sein Erlösungswerk vom Ja eines Menschen,
genauergesagt: einer Frau abhängig machte. Maria sollte die Frau sein,
die Gott zur Welt brachte, die de r Welt den Erlöser schenkte. Wirklich:
etwas Großes, zu dem Maria ausersehen war und Grund genug, sie
seligzupreisen.
Und wie Maria es prophezeite, haben das auch alle
Geschlechter der Christenheit auf ihre Weise getan. So ist die
Geschichte der christlichen Kunst, besonders der Malerei gar nicht zu
denken ohne die marianisch inspirierten Werke. "Ich sehe dich in tausend
Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt; doch keins von allen kann dich
schildern, wie meine Seele dich erblickt", bekennt Novalis, und bei
Theodor Fontane lesen wir: "Wo die Madonna weilt, da weilt die Schönheit
und die Freude".
Es mag erstaunen, daß selbst Martin Luther in seinen
Anfangsjahren der Gottesmutter durchaus zugetan war. So nennt er Maria
in seiner Auslegung des "Magnificat" "das allervornehmste Beispiel der
Gnade Gottes" und fordert: "Anrufen soll man Maria, daß Gott durch ihren
Willen gebe und tue, was wir bitten". Nicht nur von der Verehrung Marias
ist hier die Rede, sondern auch vom Gebet zu ihr. Ganz im
Einklang mit der theologischen Tradition geht Luther davon aus, daß
Maria nicht nur eine verehrungswürdige Gestalt der Vergangenheit ist,
sondern daß sie als Gottesmutter in Ewigkeit eine einzigartige
Rolle bei Gott spielt. Maria, die auf Erden so innig und leibhaftig
verbunden mit Christus war wie kein anderer Mensch, bleibt ihm auch im
Himmel in unvergleichlicher Weise verbunden. Der Welt den Erlöser
bringen - das war nicht nur eine vorübergehende Funktion Marias. Nein,
der Welt, den Menschen den Erlöser Jesus Christus nahebringen: das ist
der bleibende Personalcharakter Marias, ihre ewige Bestimmung.
Und das ist nicht nur etwas, was die Kirche lehrt,
sondern eine Glaubenserfahrung von unzähligen Christen zu allen Zeiten
und an allen Orten. "Maria hat geholfen" wie oft kann man diesen Satz
auf Votivtafeln an marianischen Gnadenorten lesen, an den großen wie
Altötting, Tschenstochau, Lourdes, Guadalupe, aber auch unzähligen
kleinen. Die Menschen vertrauen sich der mütterlichen Fürsorge Mariens
an, wie sie exemplarisch im Evangelium von der Hochzeit zu Kana (Joh 2,
1-12) dargestellt ist. Eine andere Stelle aus dem Johannes evangelium
ist in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung, das Vermächtniswort
des Herrn am Kreuz: "Frau, siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter! (Joh
19,26 f.) Gemäß der schon bei den Kirchenvätern vertretenen Auslegung
gibt Jesus hier in der Person des Lieblingsjüngers der ganzen
Jüngergemeinde Maria zur Mutter. Von hier aus erklärt sich der Titel
"Mutter der Kirche" , den das 2. Vatikanische Konzil Maria verlieh.
Wir sehen: Marienverehrung ist keine Erfindung der
Kirche. Sie beruht auf dem eindeutigen Zeugnis der Hl.Schrift und der
auf ihr fußenden kirchlichen Überlieferung.
Marienverehrung hat auch nichts zu tun mit einer
unangemessenen Vergöttlichung Marias, wie manchmal geargwöhnt wird.
Immer schon hat die Kirche klar unterschieden zwischen dem Schöpfer und
dem Geschöpf: Anbetung gebührt allein Gott, dem Dreifaltigen. Den
Heiligen und besonders Maria gebührt Verehrung, d.h. Lobpreis und
Bitte um Fürsprache bei Gott.
Wir brauchen auch nicht zu befürchten, daß wir Gott
etwas wegnehmen würden, wenn wir zu Maria eine Gebetsbeziehung haben. Im
Gegenteil: Gott ist es ja, der Großes an Maria getan hat und sie in
einzigartiger Weise in das Erlösungsgeschehen einbezogen hat. So preisen
wir nichts anderes als den Ratschluß und die Gnade Gottes, wenn wir
Maria verehren. Im übrigen freut sich, wie einmal der hl. Bernhard von
Clairvaux sehr einleuchtend sagt, jeder Sohn mehr, wenn seine Mutter
geachtet und geehrt wird, als wenn sie von den Menschen übergangen und
übersehen wird. So dürfen wir es auch von Marias göttlichem Sohn, Jesus
Christus annehmen. Marienverehrung und Christusverehrung stehen also
nicht gegeneinander, sondern wachsen miteinander. Dies zeigt sich
übrigens deutlich an den marianischen Wallfahrtsorten: Die Intensität,
mit der die Gläubigen dort an der Feier der Hl.Messe teilnehmen, die
Sakramente empfangen, auf Gottes Wo rt hören hebt diese Orte von der
sonst so verbreiteten Lauheit und Glaubensmüdigkeit ab.
Der Welt, den Menschen Christus nahebringen: das war
und ist die Bestimmung der Gottesmutter. Gewiß, es gibt verschiedene
Wege zu Christus man muß nicht über Maria gehen (wobei Maria
objektiv immer mit dem Erlösungsgeschehen verbunden ist).
Man muß nicht über Maria gehen, aber man
darf !
Eine gesunde marianische Spiritualität verleiht dem
Glauben Wärme und Glanz und verhindert, daß wir als allzu gedrückte und
verbiesterte Christen unsern Weg gehen. Maria verkörpert auch das
weibliche Prinzip in unserer Religion. Ist es nicht bemerkenswert, daß
wir "Unsere Liebe Frau" als Vorbild aller Christen, als Erst- und
Ganzerlöste verehren? Eine Frau steht an der Spitze der Kirche,
kein Mann! Wäre es da nicht widersinnig, wenn gerade wir sogenannten
"modernen", für die Rechte der Frau sensibilisierten Christen Maria vom
Sockel stoßen wollten?
Nein: Schließen wir uns lieber an die Quellen unseres
Glaubens an und stimmen wir ein in das Marienlob aller Generationen:
"Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die
Frucht deines Leibes!"
Amen.